Interview Real Estate Circle 2024, mit Helena Neuner und Alric A. Ofenheimer
BC: Immobilienprojektentwickler waren in den letzten Monaten und Jahren mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Welche Frühindikatoren gibt es, die darauf hinweisen, dass der Projektentwickler in die Insolvenz schlittern könnte? Ab wann sollten die Alarmglocken läuten?
AO: In der Immobilienentwicklung ist das Vorhandensein der erforderlichen Liquidität das Entscheidende. Daher sollte es laufend zu einer Überprüfung der Liquiditätsplanung und des IST-Standes kommen. Gerade in Zeiten von gestiegenen Zinsen kann eine Liquiditätsplanung rasch veraltet sein. Wird ein Liquiditätsengpass erkannt, heißt es rasch zu handeln, da gerade Gesellschaften in der Projektentwicklungsphase kaum Umsatz erzielen. Damit hat die Liquidität von außen, dh von Fremdkapitalgebern oder Gesellschaftern oder neuen Investoren, zu kommen.
HN: Und spätestens wenn materielle Insolvenz – also Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – vorliegt, sollten dann alle Alarmglocken läuten und die Geschäftsführer fristgerecht einen Insolvenzeröffnungsantrag einbringen. Von Zahlungsunfähigkeit spricht man, wenn die Gesellschaft mangels bereiter liquider Mittel – und zwar nicht nur vorübergehend – außerstande ist, fällige Geldforderungen regelmäßig zu erfüllen. Eine Überschuldung liegt vor, wenn die Passiva die Aktiva übersteigen und es keine positive Fortbestehensprognose gibt. Diese Zahlen sollten also regelmäßig gemonitored werden und es sollte im Zweifel lieber einmal zu viel als einmal zu wenig eine Fortbestehensprognose (zB durch einen Wirtschafsprüfer) eingeholt werden. Ein besonders hoher Sorgfaltsmaßstab sollte bei der Erstellung der Jahresabschlüsse an den Tag gelegt werden, da diese oft die Grundlage für weiter Überlegungen bilden.
BC: Was ist die beste Vorgehensweise, wenn bei einem in Schieflage geratenen Projekt innerhalb der Gesellschafter Uneinigkeit über die Erfolgsaussichten herrscht, wenn also manche noch an das Projekt glauben, andere aber nicht mehr?
AO: Wir sprechen hier von einer sogenannten Dead-Lock Situation. Das gefährliche an solchen Dead-Lock Situationen ist, dass die Gesellschaft plötzlich – mangels Einigung – handlungsunfähig ist und das Projekt stillsteht. Im Idealfall sieht der Gesellschaftsvertrag bzw der Joint-Venture Vertrag dafür bereits eine Regelung vor. Die Lösung einer Dead-Lock Situation ist in der Regel mehrstufig aufgebaut – beginnend mit einem Einigungsversuch auf Eigentümerseite, Durchlaufen einer Mediation bis hin zu einem Shoot-Out Verfahren, wo zB der höchstbietende Gesellschafter den anderen rauskaufen kann. Es gibt aber kein Patentrezept, sondern Dead-Lock Regelungen müssen ganz individuell ausgestaltet werden. Oft empfiehlt es sich auch, eine Wesentlichkeitsschwelle einzuziehen, damit es nicht wegen “Kleinigkeiten” zum Ausschluss eines Gesellschafters kommen kann.
HN: Eine weitere Absicherung bietet eine Verpflichtung aller Gesellschafter, in einer Notsituation einer Kapitalerhöhung zuzustimmen, die einzelne Gesellschafter durchführen möchten. Schwierigkeiten bereitet in diesen Fällen die Bewertung der Gesellschaft, da damit auch die Verwässerung jener Gesellschafter, die nicht von ihrem Bezugsrecht Gebrauch machen, einhergeht. Alternativ steht es natürlich jedem Gesellschafter frei, der Gesellschaft zB ein Gesellschafterdarlehen zu geben, um das Projekt weiter voran treiben zu können – wie wirtschaftlich sinnvoll das ist, muss natürlich im Einzelfall beurteilt werden und sollte im Anschluss auch bei einem Exit berücksichtigt werden.
BC: Können die Gesellschafter dazu verpflichtet werden, Nachschüsse zu leisten, zB um das Projekt doch noch realisieren zu können bzw eine drohende Insolvenz abzuwenden?
HN: Sofern es dafür keine vertragliche Regelung gibt und die Gesellschafter ihre Einlagen voll geleistet (und diese nicht zurückerhalten) haben, besteht grundsätzlich keine Nachschusspflicht. Eine solche kann auch nicht aus der “Treuepflicht” abgeleitet werden – und zwar auch dann nicht, wenn es andernfalls zu einer Insolvenz der Gesellschaft kommen würde. Oftmals sehen Joint Venture Verträge jedoch betraglich begrenzte Nachschusspflichten für die Projektdauer vor, welche an die 8% Eigenkapitalquote geknüpft ist. Auch hier gilt: je genauer der Vertrag hier bereits Regelungen vorsieht, desto weniger Konfliktpotential gibt es.
BC: Am Real Estate Circle 2024 werden Sie die Strukturierung von Immobiliengesellschaften genauer analysieren und insbesondere darauf eingehen, worauf Geschäftsführer, Gesellschafter und Fremdfinanzierer bei konzerninternen Finanzierungen und Sicherheitenbestellungen zu achten haben. Ohne zu viel vorwegzunehmen, was ist die Schwierigkeit bei konzerninterner Sicherheitenbestellung?
HN: Wir sehen in der Praxis oft, dass “konzernweit” gedacht wird und das Konzerninteresse über das Interesse der einzelnen Gesellschaft gestellt wird. Das ist rein wirtschaftlich betrachtet auch nachzuvollziehen, rein rechtlich ist aber jede Gesellschaft stand-alone zu betrachten und stets im besten Interesse der Gesellschaft zu handeln.
AO: Insbesondere bei sogenannten up- oder side-stream Sicherheiten ist besondere Vorsicht geboten, weil man hier schnell den Kapitalerhaltungsgrundsatz verletzen kann und man neben der Nichtigkeit des betroffenen Rechtsgeschäfts auch eine persönliche Haftung der Geschäftsführer riskiert. Es muss ganz genau geprüft werden, ob es eine betriebliche Rechtfertigung für die Sicherheitenbestellung gibt – ein reines “Konzerninteresse” gilt jedenfalls nicht.