In der zweiten Folge der Reihe „Compliance kompakt“ von Dr. Erika Stark-Rittenauer geht es um die Kronzeugenregelung im Kartellrecht und wie diese genau mit dem Strafrecht verlinkt ist. Welche Verpflichtungen haben die Kronzeugenunternehmen? Sind die Mitarbeiter:innen geschützt? Dies und mehr in der neuen Folge.
Beginnen wir wieder von vorne: Was ist ein kartellrechtlicher Kronzeuge? Es geht hier um eines an einer kartellrechtswidrigen Verhaltensweise beteiligtes Unternehmen, das als Gegenleistung für die Mitwirkung an der Aufdeckung, gar keine Geldbuße erhält oder (sofern der Sachverhalt bereits bekannt war) mit einer reduzierten Geldbuße sanktioniert wird. Die kartellrechtliche Kronzeugenregelung gibt es in Österreich bereits seit 2006, bisher wurden rund 130 Kronzeugenanträge gestellt. Zuständig für die Zuerkennung des Kronzeugenstatus ist die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür sind im Wettbewerbsgesetz (konkret §11b WettbG) sowie in der VO Kronzeugen (BGBl II 2021/487) geregelt. Das kartellrechtliche Kronzeugenprogramm ist sehr transparent: Alle Schritte und inhaltlichen Voraussetzungen werden im Detail im “Leitfaden Kronzeugen” (Stand Juli 2022) sowie im Dokument “Geldbußenreduktionen im Kronzeugenprogramm” (Stand Jänner 2022) dargestellt und sind auf der Website der BWB verfügbar.
Wie läuft das Verfahren ab?
Möchte ein Unternehmen die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen, hat es ein Ersuchen bei der BWB einzureichen. Hierfür sollte das von der BWB auf ihrer Website zur Verfügung gestellte Formblatt verwendet werden.
Ein solches Ersuchen hat insbesondere folgende Informationen und Beweismittel zu beinhalten:
- Name und Anschrift des ersuchenden und aller anderen Unternehmen, die an dem Kartellrechtsverstoß beteiligt waren oder sind;
- eine detaillierte Beschreibung des Kartellrechtsverstoßes, einschließlich der betroffenen Produkte, der betroffenen Gebiete, der Dauer und Art der Rechtsverletzung sowie eine Schätzung des davon betroffenen Marktvolumens;
- genaue Angaben über die Kartellkontakte;
- Name, Funktion und Anschrift aller natürlichen Personen, die nach Wissen des ersuchenden Unternehmens an der mutmaßlichen Zuwiderhandlung beteiligt waren oder sind;
- sämtliche weitere Beweismittel, die sich im Besitz des ersuchenden Unternehmens befinden, oder zu denen es Zugriff hat etc
Nach Einlangen des Ersuchens um Kronzeugenbehandlung, bestätigt die BWB dem Unternehmen den Empfang schriftlich, unter Angabe des Datums und der Uhrzeit. Ebenso wird der Bundeskartellanwalt von der BWB unverzüglich verständigt.
Nach genauer Prüfung der vorgelegten Informationen und Beweismittel im Hinblick auf die Erfüllung der im WettbG angeführten Voraussetzungen, gibt die BWB dem ersuchenden Unternehmen “ehestmöglich” (der Prozess ist schwierig und kann durchaus langwierig sein) in einer rechtsunverbindlichen schriftlichen Mitteilung – vorbehaltlich der Erfüllung der Kooperationsverpflichtung des Unternehmens – bekannt, ob der Kronzeugenstatus zuerkannt wird. Dieser kann grundsätzlich unabhängig davon, ob bereits eine Hausdurchsuchung bei dem ersuchenden Unternehmen (erfolgreich) beantragt oder sogar durchgeführt wurde, gewährt werden.
Welche Verpflichtungen hat das Kronzeugenunternehmen?
Die Verpflichtung des Kronzeugenunternehmens zur umfassenden Zusammenarbeit mit der BWB ist weitgehend. Grundvoraussetzung ist, dass das ersuchende Unternehmen seine Mitwirkung an der (mutmaßlichen) Zuwiderhandlung (im Einvernehmen mit der BWB) einstellt. Darüber hinaus ergeben sich aus § 11b Abs 1 Z 2 WettbG die Kooperationsanforderungen. Diese erstrecken sich über die gesamte Dauer des Ermittlungsverfahrens der BWB. Sie umfassen auch eine strenge Verschwiegenheitsverpflichtung. Darüber hinaus muss das Kronzeugenunternehmen der BWB uneingeschränkt zur Verfügung stehen, dh Anfragen von der BWB unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß beantworten. Ebenso müssen relevante Informationen und Beweismittel vorgelegt werden. Dies inkludiert auch die Vorlage eidesstattlicher Erklärungen von allen aktuellen Mitarbeiter:innen und – soweit möglich – auch von früheren Mitarbeiter:innen, die an den kartellrechtlichen Zuwiderhandlungen beteiligt waren. Letztlich darf das ersuchende Unternehmen andere Unternehmen nicht zur Teilnahme an der Zuwiderhandlung gezwungen haben.
Werden die Kooperationsverpflichtungen nicht erfüllt, kommt eine Anwendung der Kronzeugenregelung nicht in Betracht.
Wie hoch sind die Bandbreiten der Geldbußenreduktion bei umfassender Kooperation?
Die Geschwindigkeit bei der Kontaktaufnahme mit der BWB ist ein entscheidender Faktor für die Höhe einer allfälligen Geldbuße. Hierbei wird auf den Zeitpunkt der Abgabe der zusätzlichen Informationen und Beweismittel abgestellt; es kommt aber auch auf die Qualität der Kooperation an.
Für einen Geldbußenerlass muss es das ersuchende Unternehmen durch die Vorlage von Informationen und Beweismitteln der BWB als Erstes ermöglichen, einen Antrag auf Anordnung einer Hausdurchsuchung zu stellen. Sofern diese Informationen der BWB bereits vorliegen, muss das ersuchende Unternehmen alternativ als Erstes zusätzliche Informationen und Beweismittel vorlegen, die es der BWB ermöglichen, unmittelbar einen begründeten Antrag auf Verhängung von Geldbußen einzubringen. Es muss somit einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag leisten und der BWB umfassende Beweise zur Verfügung stellen, sodass das Ermittlungsverfahren nicht mehr fortgeführt werden muss.
Weitere Unternehmen können eine Geldbußenermäßigung erreichen. Um für eine Ermäßigung der Geldbuße in Betracht zu kommen, müssen der BWB Informationen und Beweismittel vorgelegt werden, die für die BWB einen erheblichen Mehrwert darstellen. Der Begriff “Mehrwert” bezieht sich auf das Ausmaß, in dem die vorgelegten Informationen bzw Beweismittel aufgrund ihrer Eigenschaft und/oder ihres Detaillierungsgrades die BWB in die Lage versetzen, den betreffenden Sachverhalt schlüssiger oder vollständiger nachzuweisen. Folgende Ermäßigungsbandbreiten kommen laut BWB in Betracht:
Rang | Ermäßigungsbandbreite |
in Bezug auf das erste Unternehmen, welches die Voraussetzung des erheblichen Mehrwerts erfüllt | zwischen 30% und 50%
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in Bezug auf das zweite Unternehmen, welches die Voraussetzung des erheblichen Mehrwerts erfüllt | zwischen 20% und 30%
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in Bezug auf jedes weitere Unternehmen, welches die Voraussetzung des erheblichen Mehrwerts erfüllt | bis zu 20%
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Sind die Mitarbeiter:innen des Kronzeugenunternehmens dann auch vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt?
In den Fällen, in denen ein Kartellrechtsverstoß zugleich einen strafrechtlich relevanten Tatbestand verwirklicht, was bei Bieterabsprachen nach §168b StGB und/oder des Submissionsbetrugs (§§146ff StGB) der Fall ist, ist die potentielle strafrechtliche Verantwortlichkeit der handelnden Mitarbeiter:innen des Kronzeugenunternehmens ein wesentlicher Aspekt. § 209b StPO schafft die Möglichkeit einer „strafrechtlichen Immunität“ für Mitarbeiter:innen eines Kronzeugen-Unternehmens. Es wird hierbei auf die aktive Mitwirkung der einzelnen Mitarbeiter:innen dieses Unternehmens im Rahmen der Kronzeugenkooperation abgestellt. Die Bestimmung in § 209b StPO hat in den letzten Jahren große Bedeutung erlangt, man denke nur zB an das “Baukartell”.
Zuständig dafür ist der Bundeskartellanwalt. Dieser hat die Staatsanwaltschaft von einem Vorgehen der BWB nach der Kronzeugenregelung zu verständigen (was mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann und in aller Regel erst nach Abschluss der Ermittlungen der BWB in Betracht kommt). Es ist daher empfehlenswert, beim Bundeskartellanwalt bereits während der noch laufenden Aufarbeitung mit der BWB bekanntzugeben, welche Mitarbeiter:innen an der Aufklärung der Zuwiderhandlung mitgewirkt haben und “strafrechtlich immunisiert” werden wollen. Ein Rechtsanspruch der Mitarbeiter:innen eines Unternehmens auf Einschreiten des Bundeskartellanwalts besteht jedoch nicht.
Die Staatsanwaltschaft hat nach der Verständigung des Bundeskartellanwalts das Ermittlungsverfahren gegen die betroffenen Mitarbeiter:innen, die bereits ihr gesamtes Wissen offenbart haben, unter dem Vorbehalt späterer Verfolgung, einzustellen.
Ergebnis
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des kartellrechtlichen Kronzeugenstatus sind sehr transparent und bieten, auch durch den engen Kontakt mit der BWB ab Stellung eines Ersuchens, eine gewisse Rechtssicherheit, ob bzw in welchem Rahmen das Ersuchen erfolgversprechend sein kann. Dennoch kann der Prozess langwierig sein, bis die Ermittlungen der BWB abgeschlossen sind. Auch sind die damit einhergehenden Verpflichtungen für ein Kronzeugenunternehmen sehr aufwändig.
Die strafrechtliche Immunisierung von Mitarbeiter:innen von Kronzeugenunternehmen ist grundsätzlich eine enorm wichtige Möglichkeit, um die Attraktivität des kartellrechtlichen Kronzeugenprogramms zu gewährleisten. Tatsächlich kommt es aber auch hier zu einer langen Ermittlungsdauer. Darüber hinaus kommt es für die Anwendung von § 209b StPO in der seit 1.1.2022 geltenden Fassung nicht nur auf das Gewicht des von einem Unternehmen bei der BWB geleisteten Beitrags an, sondern es wird zusätzlich auf eine aktive Mitwirkung der jeweiligen Mitarbeiter:innen abgestellt. Im Gesetz ist auch nicht mehr explizit die Einstellung des Strafverfahrens gegen das Unternehmen selbst (Stichwort Verbandsverantwortlichkeit) vorgesehen.
Letztlich bleibt zu erwähnen, dass, selbst wenn die kartellrechtliche Kronzeugenregelung für ein Unternehmen nicht zur Anwendung gelangt, bei Vorliegen der Voraussetzungen für betroffene Mitarbeiter:innen, noch immer ein Vorgehen nach der allgemeinen strafrechtlichen Kronzeugenregelung nach § 209a StPO in Betracht kommen kann (siehe dazu letzter Beitrag).