§ 2 Abs 1 des 2. COVID-19- Justiz-Begleitgesetzes (2. COVID-19-JuBG) stundete Kreditschulden bestimmter Personen für zehn Monate, nämlich von 1. April 2020 bis 31. Jänner 2021. Welche Folgen dies für die Zeit nach 31. Jänner 2021 hat, sollten Kreditnehmer und Kreditgeber primär im Einvernehmen regeln. Für den Fall, dass dies nicht gelingt, verlängerte § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG die Laufzeit des Kreditvertrages um zehn Monate und schob die Fälligkeit aller Kreditschulden um eben diese Zeitspanne hinaus.
Ein österreichisches Kreditinstitut interpretierte die letztgenannte gesetzliche Regelung wie folgt: Die kreditvertraglich vereinbarten Zinsen fallen auch im Stundungszeitraum weiter an. Sie werden den monatlichen Raten ab 31. Jänner 2021 anteilig hinzugerechnet, was freilich die kreditvertragliche Gesamtbelastung entsprechend erhöht. Der VKI war wenig amüsiert: Er klagte das österreichische Kreditinstitut unter anderem darauf, es zu unterlassen, den Kreditnehmern solche Zinsen zu verrechnen. Der OGH ist diesem Begehren in 3 Ob 189/21x gefolgt. Denn nach Auffassung des OGH darf § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG nicht so ausgelegt werden, dass die Kreditnehmer am Ende mehr zu zahlen haben als sie ohne Stundung zu zahlen gehabt hätten.
In Folge beantragten über 90% der in Österreich tätigen Kreditinstitute (mehr als 400 an der Zahl), der VfGH möge § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG als verfassungswidrig aufheben (Artikel 140 Abs 1 Z 1 lit c B-VG). Dies nach Ansicht der Kreditinstitute wegen Verletzung des Gleichheitssatzes (Art 7 B-VG) und unverhältnismäßigen Eingriffs in das verfassungsgesetzlich gewähreistete Recht auf Eigentum (Art 1 1. ZPEMRK, Art 5 StGG). Beides hat nun der VfGH in G 174/2022 aus folgenden Gründen abgelehnt: Der Gesetzgeber darf Eingriffe in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte verfügen, wenn diese Eingriffe im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismäßig sind. § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG will Verbraucher:innen und Kleinstunternehmen vor einer pandemiebedingten Überschuldung schützen. Dieses Ziel liegt im öffentlichen Interesse. § 2 Abs 6 des 2. COVID-19-JuBG erreicht dieses Ziel in verhältnismäßiger Weise. Denn den Nachteilen aus der zinslosen Kreditstundung lagen zahlreiche geldpolitische und bankenaufsichtsrechtliche Maßnahmen gegenüber, die darauf abzielten, die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Realwirtschaft und Banken abzufedern. Daher ist gerechtfertigt, die Banken mit den Kosten für die gesetzlich angeordnete Stundung zu belasten.
Wie in der Literatur bereits bemerkt (Schopper, VbR 2022, 193; Winner/Wolfbauer, ZFR 2023, 1), liegt eine Schwäche der Entscheidung des VfGH darin, nicht geprüft zu haben, ob eine zinslose Stundung auch erforderlich war, um Verbraucher:innen und Kleinstunternehmen vor einer pandemiebedingten Überschuldung schützen. Hätte hierfür eine bloße Stundung etwa nicht ausgereicht? Wir werden es wohl nie erfahren.
Zuletzt aktualisiert: 14.03.2023