Warum Bonuszahlungen nicht gegen hohe Krankenstände wirken

In Politik und Wirtschaft fordern die einen Karenztage für Kranke, die anderen eine Belohnung für gesunde Mitarbeitende. Aber es gäbe noch andere Varianten.

Wer wenig oder gar nicht im Krankenstand ist, kassiert zum Jahresende einen Bonus: Nach dem Prinzip probieren Unternehmen, ihre Mitarbeitenden davon abzuhalten, zu oft zu fehlen. Tesla in Deutschland hat ein solches Modell zum Beispiel im Vorjahr vorgestellt. Denn die vielen Ausfälle, das betonen Politik und Wirtschaft regelmäßig, kommen Unternehmen und Staat teuer zu stehen.

Rund 15 Tage sind unselbstständig Beschäftigte hierzulande im Schnitt im Krankenstand. Ideen, wie sich diese Fehlzeiten reduzieren ließen, werden da händeringend gesucht. Ein Anreizsystem, wie eben bei Tesla, ist aber eher die Ausnahme. Oliver Bäte, Chef der Allianz-Versicherung, sorgte erst vor wenigen Wochen in Deutschland mit seinem Vorschlag für Aufsehen, den ersten Krankenstandstag nicht mehr zu bezahlen und stattdessen einen Karenztag einzuführen. Hierzulande gab es den Vorschlag, statt Kurzzeitkrankenständen doch Urlaubstage zu nehmen, DER STANDARD hat hier berichtet.

240 Euro pro Jahr

Was in der Diskussion immer mitschwingt: Immer mehr Menschen machen blau, sind also gar nicht wirklich krank und verlängern sich somit ihr Wochenende. Wie groß diese Thematik ist, kann man hierzulande nicht wirklich sagen, denn in vielen Unternehmen ist erst ab dem dritten Tag eine ärztliche Krankschreibung nötig. Erst dann geht die Information an die Sozialversicherungsträger und fließt in die Statistik ein.

Der deutsche Ökonom Timo Vogelsang von der Frankfurt School of Finance & Management beschäftigt sich wissenschaftlich mit Anreizsystemen. Dass ein unbezahlter erster Krankenstandstag Menschen davon abhält, zu Hause zu bleiben, bezweifelt er. Und auch bei Bonuszahlungen ist er skeptisch. Er hat sich das Thema für eine Supermarktkette in Süddeutschland angeschaut, die vermutete, dass ihre Azubis regelmäßig blaumachten. Das Unternehmen wollte mit einem Bonus gegensteuern. Für die Studie wurden die Azubis zufällig in drei Gruppen aufgeteilt: eine Kontrollgruppe und zwei Gruppen, die für geringe Fehlzeiten einen Bonus bekamen. In einer Gruppe war der Bonus finanzieller Natur, es ging um bis zu 240 Euro pro Jahr, in der anderen gab es zusätzliche Urlaubstage.

Das Ergebnis überraschte Vogelsang: Die, die einen finanziellen Bonus bekamen, blieben nämlich am öftesten zu Hause. “Die Mitarbeiter fühlten sich weniger schlecht, wenn sie zu Hause blieben”, sagt Vogelsang. Der Bonus signalisierte den Azubis nämlich, dass regelmäßige Anwesenheit nicht der Normalzustand sei, sondern extra belohnt wurde. Und darauf verzichtete man dann eben ohne schlechtes Gewissen. Eine höhere Summe würde zwar vermutlich auch die Motivation, in die Arbeit zu kommen, heben. “Aber man muss auch überlegen, was für das Unternehmen wirtschaftlich ist.”

Ein Obstkorb für alle

In Österreich wären solche Bonuszahlungen für besonders gesunde Mitarbeitende übrigens nicht zulässig. Zwar gibt es kein explizites gesetzliches Verbot, laut der auf Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwältin Jana Eichmeyer von E+H Rechtsanwälte lässt sich das aber aus dem in Österreich geltenden Entgeltausfallsprinzip ableiten. Es besagt: Jemand darf nicht weniger verdienen, nur weil er krank ist. Oder mehr, weil er gesund ist. Ein zweiter Punkt, der laut Eichmeyer zum Tragen kommt, wäre ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil die Tatsache, ob jemand krank oder gesund ist, keine erlaubte Differenzierung ist. Würden Mitarbeiter belohnt, wenn sie nicht krank würden, gelte das zudem auch als sittenwidrig.

Was Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bleibt, ist die mittelbare Belohnung von Gesundheit, sagt Rechtsanwältin Eichmeyer, “also indem man alles fördert, was Mitarbeitende fitter und gesünder macht”. Das ist zum einen der gute alte Obstkorb im Büro, aber auch Sportevents und andere Fitnessmöglichkeiten.

Für den Ökonom Vogelsang sind hohe Krankenstände und Mitarbeitende, die gern blaumachen, letztendlich auch ein Führungsthema: “Eine Führungskraft hat einen großen Einfluss auf Mitarbeitende.” Insgesamt sei extrinsische Motivation offenbar kein gutes Motiv, sagt Vogelsang, vielmehr gelte es, Mitarbeitende intrinsisch zu motivieren, etwa durch ein angenehmes Arbeitsumfeld, einen Sinn, der in der täglichen Tätigkeit gefunden werden kann, und ein gutes Verhältnis mit den Kolleginnen und Kollegen. Und auch mit dem Chef. Dass dieser Aspekt in der Krankenstandsdebatte weniger Aufmerksamkeit bekommt, überrascht Vogelsang nicht: Gute Führung und deren Auswirkungen sind schwieriger zu messen.

Mehr Vertrauen

Timo Vogelsang fände aber auch einen Blick über den Tellerrand in der Debatte spannend. In Schweden muss beispielsweise erst ab dem achten Krankheitstag ein Attest eines Arztes gebracht werden, während das in Deutschland und Österreich meist nach dem dritten Tag nötig ist. “Man könnte ja auch mal in die andere Richtung gehen”, sagt Vogelsang, “und statt auf Kontrolle auf Vertrauen setzen.” Denn auch dazu gebe es durchaus vielversprechende Forschung.