Beginnen wir von vorne, was ist überhaupt ein strafrechtlicher Kronzeuge? Ein Kronzeuge ist eine Person, die eine schwerwiegende Straftat begangen hat und freiwillig an die Strafverfolgungsbehörden, also die Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft (StA), herantritt und so einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung der Straftat leistet. Dafür bekommt der Kronzeuge Zugeständnisse hinsichtlich seiner eigenen Verfolgung, dh er geht potenziell straffrei aus (bzw. es kommt im juristischen Sinne zu einer sogenannten Diversion, einem Schuldspruch ohne Strafe). Die Behörde wiederum gelangt an Informationen, die sie – aufgrund des häufig bestehenden Beweisnotstands bei der Aufklärung von schweren Wirtschaftsstrafdelikten – ohne die Kooperation des Kronzeugen nicht oder nur schwer erlangen würde. Also eigentlich eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Aber eben nur eigentlich. In der Praxis dauert der Entscheidungsprozess aufgrund des behördeninternen Zusammenwirkens und der umfangreichen Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen sehr lange, bis zu Jahren.
Wie läuft das Verfahren ab?
Die Kronzeugenregelung im Strafrecht kommt (vereinfacht gesprochen) nur bei jenen Straftaten in Betracht, die einen Mindeststrafrahmen von fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsehen, der Zuständigkeit der WKStA unterliegen oder „Organisierte Verbrechen“ (§§ 277ff StGB) darstellen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Kronzeugenstatus sind in §209a StPO geregelt. Bei der Zuerkennung des Kronzeugenstatus ist von der ermittelnden StA zu prüfen,
- ob der Kronzeuge freiwillig an die StA oder die Kriminalpolizei herangetreten ist, ein reumütiges Geständnis über seinen Tatbeitrag abgelegt hat,
- und sein Wissen über neue Tatsachen oder Beweismittel offenbart hat, deren Kenntnis wesentlich dazu beiträgt, die umfassende Aufklärung von Straftaten über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus zu fördern. Das bloße Vorbringen von Vermutungen, Gerüchten bzw. subjektiven Eindrücken reicht keinesfalls.
Die StA hat bei einem Kronzeugenantrag der Oberstaatsanwaltschaft und dem Bundesministerium für Justiz zu berichten. Diese drei Behörden entscheiden gemeinsam über die Gewährung des Kronzeugenstatus.
Zunächst kommt es im Rahmen einer Grobprüfung zu einem vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung des Kronzeugen. Dadurch soll der Kronzeuge so früh wie möglich darüber informiert werden, ob die von ihm offengelegten Informationen für die Gewährung des Kronzeugenstatus ausreichen könnten.
Bei der anschließenden Detailprüfung werden die Voraussetzungen dann genauer geprüft. Dabei wird insbesondere das Gewicht der vom Kronzeugen offenbarten Informationen seinem eigenen Tatbeitrag gegenübergestellt. Sofern dann die ermittelnde StA zum Ergebnis gelangt, dass eine Bestrafung des Kronzeugen aus spezialpräventiven Gründen nicht erforderlich erscheint, macht sie dem Kronzeugen im Rahmen eines Vorhabensberichts ein Diversionsangebot, dh die Erbringung einer Leistung, beispielsweise die Zahlung eines Geldbetrags und die Leistung einer Teilschadensgutmachung wird im Gegenzug zum Verfolgungsrücktritt angeboten. Nach Erbringen der Leistungen durch den Kronzeugen kommt es dann zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens unter dem Vorbehalt späterer Verfolgung. Es kann aber auch sein, dass die Behörden nach der Detailprüfung der Ansicht sind, dass die Voraussetzungen nicht vorliegen, oder dass die Voraussetzungen weggefallen sind. In diesem Fall führt die StA das Ermittlungsverfahren fort.
Ausgeschlossen ist der Kronzeugenstatus dann, wenn eine Person bereits als Beschuldigter vernommen wurde oder gegen sie Zwang ausgeübt wurde, also bei ihr zB bereits eine Hausdurchsuchung oder eine Sicherstellung wegen der Aufklärungstat stattgefunden hat. Der Kronzeuge muss sich also frühzeitig entscheiden, mit den Strafverfolgungsbehörden zu kooperieren. Dass gegen eine Person bereits ermittelt wird, schließt aber per se noch nicht aus, dass diese Kronzeugenstatus erlangen kann.
Welche Verpflichtungen hat der Kronzeuge?
Mit der Zuerkennung des Kronzeugenstatus verpflichtet sich der Kronzeuge:
- zur Aufklärung der verfahrensgegenständlichen Straftaten (an welcher Dritte beteiligt gewesen sein müssen) weiter beizutragen, sowie
- zur Zahlung einer Geldbuße, eines Pauschalanteils an den Verfahrenskosten, sowie eines Anteils an Schadenswiedergutmachung. Die Höhe der Geldbuße richtet sich nach dem Gewicht der zugrundeliegenden Straftat und nach der Einkommens- und Vermögenssituation des Kronzeugen.
Der einmal gewährte Kronzeugenstatus kann aber auch wieder aberkannt werden. Das ist zB dann der Fall, wenn der Kronzeuge die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit der StA verletzt. Oder wenn sich herausstellt, dass die zur Verfügung gestellten Unterlagen oder Informationen falsch waren oder im Strafverfahren keinen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung liefern konnten.
Ergebnis: Risiko und Rechtsunsicherheit bleiben
Um nicht zu riskieren, mit seinen Informationen “zu spät dran zu sein”, sollte sich ein potenzieller Kronzeuge so früh wie möglich entscheiden, ob er mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren möchte. In diesem Fall muss ein umfangreiches Geständnis abgegeben sowie umfassend mit den Strafverfolgungsbehörden kooperiert werden. Dies ist durchaus eine schwere und risikoreiche Entscheidung. Im reumütigen Geständnis darf nichts vergessen und übersehen werden und der Kronzeuge muss sich von ehemaligen Mittätern klar distanzieren. In der Praxis dauert der Entscheidungsprozess aufgrund des behördeninternen Zusammenwirkens und der umfangreichen Prüfung der Voraussetzungen mitunter Jahre. Für einen potenziellen Kronzeugen ist es unabhängig von der Dauer ein Risiko, seinen eigenen Tatbeitrag offenzulegen und den Ermittlungsbehörden Kooperation anzubieten. Denn sofern die Staatsanwaltschaft die von ihm herangetragenen Informationen letztlich als nicht wesentlich zur Wahrheitsfindung beurteilt, entfallen auch die Privilegien in Bezug auf die eigene Verfolgung und Bestrafung des Kronzeugen.